Mamas Geschichte

Mamas Kindheit

Mamas Kindheit

Meine Mutter ist am 22. August 1952 in Berlin geboren. Sie ist ein Nachkriegskind und hat den Konflikt zwischen Ost und West als Kind selbst erlebt. Dadurch das meine Omi noch sehr jung war, als sie ihre Tochter Sabine bekam, wuchs sie vorerst bei den Großeltern in Berlin Lichtenberg auf, während ihre Mutter im Berliner Westen Nikolassee wohnte. Welche Ereignisse sie durch die Teilung erlebt hat, erzählt sie hier mit ihren eigenen Worten.

„Meine Kindheit bis zum Schuleintritt habe ich bei meinen Großeltern in Berlin-Lichtenberg (DDR) verbracht. Die Wohnung lag nahe dem Zentralfriedhof, wo sich die Gräber von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg befanden. Da es immer wieder Märsche zu den Gräbern gab, war unsere Straße ziemlich breit. In den 50er Jahren gab es in der DDR sehr wenig Autos. Da, wo wir gewohnt haben, hatte niemand ein Auto. So haben wir als Kinder das ganze Jahr über draußen gespielt.

Wir sind viel Rollschuh gefahren. Die Rollschuhe mussten wir mit einem Vierkanntschlüssel direkt an den Straßenschuh anschrauben. Die Räder waren noch aus Metall oder Eisen und dementsprechen sehr laut. Fahrräder hatten wir Kinder noch nicht, selbst die Erwachsenen hatten kaum welche. Das erste Fahrrad habe ich mit ca. 12 Jahren gebraucht von meiner Tante bekommen. Allerdings war ich war die Einzige, die einen richtigen Reifenroller hatte. Da war ich stolze wie Bolle. Der Roller war hellblau mit weißen Reifen. Die anderen Kinder hatte noch die alten Holzroller.

Wir haben Murmeln gespielt, einen Kreisel über die Straße flitzen lassen oder „Hopse“ gespielt. Da war Geschicklichkeit gefragt, denn bevor man hopsen konnte musst man erst mit einem Kettchen das Feld treffen, wenn nicht, war man erstmal ausgeschieden. Ja und dann hopsen mit einem Bein. Erst rechts, dann links und Drehung. OK, wir brauchten zu der Zeit keine Ergotherapeuten, die uns Grob- und Feinmotorik beibrachten.

Jetzt aber Schluss damit, zurück zur DDR. Nachdem ich bei meinen Großeltern aufgewachsen bin kam meine Mutte so ungefähr alle 14 Tage zu Besuch und brachte Bananen und Orangen mit. Das war toll! Manchmal gab es auch im Osten Orangen aus Kuba, aber da bist du locker eine Stunde angestanden und wenn du dran warst, waren sie meist ausverkauft. – ja, Pech. –

An Schokolade kann ich mich überhaupt nicht erinnern in der Zeit, aber es gab Schokoküsse. Die waren innen so braun-grau. Das war mir aber egal, denn sie waren süß und haben mir als Kind natürlich super geschmeckt.

Mit 6 Jahren (1959) wurde ich in West-Berlin eingeschult. Das war allerdings nichts, denn meine Eltern haben ja beide gearbeitet und es gab keine Betreuung für mich. Also kam ich wieder zu meinen Großeltern in die DDR und bin da in die Schule gekommen. Die hatte im Gegensatz zum Westen statt Ostern erst im Herbst Einschulung. Da habe ich schonmal ein halbes Jahr verloren. Dafür wurde ich mit Abschluss der 1. Klasse Pionier. Jedes Kind durfte sich vorne auf einen Stuhl stellen und dann bekam man feierlich das blaue Pioniertuch umgebunden. Das Pioniertuch musste mit einem besonderen Pionierknoten gebunden werden und natürlich jeden Tag in der Schule getragen werden. Meine Oma ist anfangs schier verzweifelt an dem Knoten. In den großen Ferien kamen wir in das Pionierferienlager, da wurden wir den ganzen Tag beschäftigt und am Abend waren wir wieder zu Hause.

Die Schule hat auch das Umfeld der Schüler kontrolliert. Eines Tages kam meine Lehrerin zu meinen Großeltern nach Hause. Sie hat mit meinen Großeltern geredet und sich umgeschaut. Ja, und dann hieß es entweder meine Eltern ziehen in die DDR oder ich muss die Schule verlassen. Nun gut, auch einfach logisch, warum sollten sie ein West-Berliner Kind in der DDR beschulen? Andererseits, vielleicht hätten sie mich noch als glühende DDR-Anhängerin bekehren können. Aber wahrscheinlich war zu diesem Zeitpunkt schon der Mauerbau geplant.

Also wieder in eine neue Schule. Das war dann die Dreilinden-Schule in Berlin Wannsee. Die erste Zeit kam meine Oma jeden Tag aus Ost-Berlin, damit jemand nach der Schule da war. Auch in dieser Grundschule wurde auf die Kinder geachtet. Das heißt, ein bis zwei Mal im Jahr kam der Schularzt. Wir Kinder mussten unsere Turnsachen anziehen, dann hat er uns angeschaut. Misshandelte Kinder hätte er vermutlich gleich entdeckt. Zudem wurden wir Kinder auch alle durch geimpft. Ich habe nie gehört, das Eltern sich geweigert hätten, ihr Kind impfen zu lassen. Regelmäßig kam auch ein Zahnarzt in die Schule. Die jeweiligen Kinder bekamen einen Zettel für die Eltern mit, damit sie zur Zahnbehandlung gehen. Mich fand der Schularzt zu dünn. So kam ich einmal zu Pflegeeltern in den Schwarzwald und einmal für ungefähr drei bis vier Wochen in ein Kindererholungsheim nach Plön. Ich habe nur schöne Erinnerungen an die beiden Ferien. Da hatte ich aber ziemliches Glück. Medienberichten zufolge sind da zum Teil schlimme Sachen vorgefallen.

August 1961 wurde die Mauer gebaut. Da war ich knapp neun Jahre alt und ich konnte meine Großeltern von heute auf morgen nicht mehr sehen. Das war für mich, aber auch für meine Großeltern ganz furchtbar!

Als uns meine Tante aus der Schweiz besucht hat, hat sie mich mit dem Kinderausweis meiner Cousine über die Grenze zu meinen Großeltern bringen können. Die Freude meiner Großeltern wieder sehen zu dürfen war riesengroß, aber der Abschied war um so schwerer. Spätestens um Mitternacht musste man wieder die DDR verlassen.

Da nur West-Berliner nicht in die DDR fahren durften und alle Bewohner anderer Bundesländer schon, hat meine Mutter uns einen Wohnsitz in Hamburg angemeldet. Dort hat sie die Adresse meiner anderen Tante angegeben, die dort wohnte. So konnten wir mit einem in Hamburg ausgestellten Ausweis wenigstens ab und zu meine Großeltern besuchen.

Als mein Opa in Rente ging, er war Buchhalter, konnten sie aus der DDR ausreisen. Das habe sie dann auch gemacht. Sie haben alles zurückgelassen und sind mit nur zwei Koffern in West-Berlin angekommen. Eine Weile haben sie noch bei uns gewohnt, aber das war schon nicht so leicht in West-Berlin eine Wohnung zu finden. West-Berlin war ja von der DDR eingekesselt. Sie habe dann eine Hausmeisterwohnung in unserer Nähe gefunden, aber das war auf die Dauer auch nichts.

Kurze Zeit später sind meine Großeltern nach Mühldorf gezogen und meine Mutter und ich nach Garching bei München, da war ich dann inzwischen 15 Jahre alt.

Selbst wenn ich noch heute an die Zeit zurück denke, an der ich plötzlich meine Großeltern, die mich aufgezogen haben, nicht mehr sehen durfte, bin ich noch tief bewegt. Es ist zum Glück am Ende alles gut gegangen.“

 

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